Call for Papers der Zeitschrift montage AV: »Messy Images – Unordnungen vernetzter Bilder«

Make-up-Tutorials, Honeymoon-Vlogs, Food-Porn, Tanz-Challenges und Bokeh-Atmosphären stehen für eine visuelle Ästhetik in Sozialen Medien, die das Schöne, Virtuose, Glänzende und Perfekte zelebriert. Im Kontrast zu diesen glossy images möchten wir mit diesem Themenschwerpunkt der Zeitschrift montage AV dazu einladen, nach Phänomenen der messy images in digitalen Netzwerken zu suchen, ihre medialen Dynamiken zu beobachten und ihre ästhetischen, ethischen und/oder politischen Bedeutungen und Potenziale zu diskutieren.

Wir schlagen »Messiness« als einen offenen Arbeitsbegriff vor, der das Unübersichtliche, Unsaubere, Überbordende, Uneindeutige, Unberechenbare, Ausufernde, Undurchschaubare und Unbefriedigende in vernetzten Bildkulturen betont.Aktuelle Beispiele sind virale Video-Memes wie Melanias Greenscreen Dress (2020), Myanmar Coup Dance Instructor Videos (2021) oder Zoom Cat Lawyer (2021), aber auch unübersichtliche Fotokompilationen auf Pinterest, entgleisende Video-Pranks auf TikTok, zweifelhafte Bildtrophäen auf Instagram, Deepfakes auf Twitter, Gewaltdarstellungen auf Schockseiten und unmoderierten Imageboards, Blackfacing- oder Scambaiter-Memes. Einige dieser Bilder werden auf kulturkritischen Websites wie Yolocaust oder in »messy archives« wie Humans of Late Capitalism wiederveröffentlicht und neu kontextualisiert.

Analysen von visuellen Phänomenen der «Messiness» lassen sich im Inhalt eines Bildes, in seiner Form (durch Unschärfe, Überfilterung, glitches, lossy compression o.ä.), in der Zirkulation und Verkettung, in der Einbettung in spezifische Plattform-Umgebungen und in der Rezeption und Verteilung durch Betrachter*innen/Nutzer*innen finden. Bildanalysen auf einer oder mehreren dieser Ebenen können dazu beitragen, messiness als eigenständige und eigenwillige ästhetische Kategorie zu denken, die das klassische Begriffsrepertoire (das Schöne etc.) erweitert und aktuelle Forschungen zu Ästhetiken der »cuteness«, »zaniness«, »glossiness« oder des »vernacular web« ergänzt (Dale et al. 2017; Ngai 2012; Groening 2016; Lialina 2009).

Auf der Ebene ihrer Form können messy images sowohl einen Kontrast zu glossy images bilden (etwa durch ihre ›schmutzige‹ Ästhetik) als auch inmitten dieser glänzenden Bildwelten entstehen (etwa durch groteske Überfilterungen).Auf der Ebene der Zirkulation – in viralen, memetischen Prozessen, in Social Media Feeds und in Suchmaschinen – können diese Bilder ständig neue Beziehungen zueinander eingehen. Sie werden de- und rekontextualisiert, bilden Assoziationsketten in seriellen Anordnungen und multiplizieren Verweise.

Ihr tendenziell chaotischer Charakter provoziert zugleich Sortierarbeiten auf der Ebene der Plattform-Ökologie (Citton 2017): Dort erscheinen Bilder anhand von Reihungsverfahren (Listen, Schlagworten). Personalisierungs-, Empfehlungs- und Suchalgorithmen sollen Relevanz und Übersichtlichkeit in ein Überangebot an Bildern bringen, während automatische und manuelle content moderation die Zirkulation regulieren soll (Gillespie 2018; Roberts 2019). Diese Ordnungsversuche beseitigen indes nicht nur die visuelle Unordnung, sie produzieren diese auch mit und bezeugen so das widerspenstige Eigenleben vernetzter Bilder.

Auf der Ebene der Rezeption und Wahrnehmung schließlich fungieren messy images etwa als thumb stopper im Fluss der Bilder. Sie können anziehend oder abstoßend, kognitiv und affektiv wirken, stimulieren oder abstumpfen. Dabei stellt sich die Frage, unter welchen Bedingungen sie eine kritische Erkenntnisfunktion innerhalb der hypernormalisierenden Netzkultur und des »Plattform-Kapitalismus« (Srnicek 2017) entfalten und die herrschenden Bildregime infrage stellen können.

Für unseren Heftschwerpunkt suchen wir Beiträge, die Phänomene, Stile, Taxonomien und politische Diskurse von messy images analysieren sowie die Funktionen, Wirkungen und Genealogien dieser Bilder in vernetzten Bildkulturen adressieren. Welche Gegenwartsphänomene stehen emblematisch für eine vernetzte Kultur der messy images? Welche Medien konstituieren messy images (Webvideos, Fotos, Apps, GIFs, Memes, Filme, Grafiken etc.) – und auf welche Weise? Wie werden diese verbreitet? Welche Einflüsse üben die spezifischen Medienumgebungen des Social Web in der Bildwerdung aus? Welche historischen ‹Vorläufer› und Modelle von messy images ergeben aufschlussreiche Querverbindungen, die zum Verständnis gegenwärtiger Medienkulturen beitragen können? Welche Theorien und Methoden eignen sich zur Erforschung dieser messy image-Phänomene?

Darüber hinaus laden wir zur Anwendung und Reflexion von unsauberen, »messy methods« (Law 2006; Mellor 2001) und unscharfen Epistemologien ein, die produktive Wissenseffekte hervorbringen: neue filmische und mediale Historiografien und Theorien abseits teleologischer Systeme und Kanonisierungen.

Die Redaktion möchte ausdrücklich zum Verfassen von kleinen Textformen jenseits des wissenschaftlichen Aufsatzes ermutigen: Glossen, Kommentare und (Roundtable) Interviews. Fragen, Absprachen, Anregungen und Einreichungen können an Laura Katharina Mücke, Olga Moskatova und Chris Tedjasukmana gerichtet werden (laura.katharina.muecke[at]univie.ac.at, olga.moskatova[at]fau.de, tedjasukmana[at]uni-mainz.de).

Wir freuen uns über Einreichungen (bitte Stylesheet beachten) bis spätestens 1. November 2021.